Kleine Typenkunde — 24/110 PS „Regent“ 1928/29

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TseHa
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Kleine Typenkunde — 24/110 PS „Regent“ 1928/29

Beitrag von TseHa » Mi 21. Jan 2009, 02:22

Um die damalige Situation zu verstehen, erscheint es sinnvoll, sich einige Dinge vorab kurz zu vergegenwärtigen.

Das verheerende Inflationsjahr 1923 hatte Tausende von Firmen zusammenbrechen lassen; Abermillionen verarmten. Durch die Währungsreform im November 1923 war zwar eine Beruhigung eingetreten und es kam sogar ein wirtschaftlicher Aufschwung in Gang, der aber keineswegs solide und sicher war. Es waren vielmehr die Jahre der Tycoons und der Spekulanten. Ungeheure Vermögen wurden aufgehäuft oder über Nacht vertan. Ganze Industrieimperien entstanden oder wurden in kürzester Zeit pulverisiert. Damals wie heute spielten die Banken eine oftmals höchst zwielichtige Rolle. In 1928 erlahmte die wirtschaftliche Belebung zusehends. Schlimmer, die Zeiten wurden für die meisten wieder schlechter.

In der Folge der allgemeinen Entwicklung musste auch Opel in 1924 für einige Zeit den Automobilbau einstellen. Andererseits betraten in diesen Jahren mehrere ausländische Autohersteller den deutschen Markt. Aus den USA waren es die Detroiter Firmen Ford und General Motors, die in Deutschland zunächst Niederlassungen, dann Montagefertigungen einrichteten. Die Amerikaner eroberten schnell bedeutende Marktanteile, denn in vielen Belangen, z.B. Bremstechnik oder Fahrkomfort, waren ihre Autos den deutschen um einiges voraus. Ein köstlich doppeldeutiger Werbespruch der Frankfurter Adler-Werke verrät es unfreiwillig: „Deutsche, kauft nur deutsche Wagen! Helft deutsches Leid gemeinsam tragen!“
Doch trotz aller widrigen Umstände schaffte es Opel, zwischen 1926 und 1928 zum mit Abstand größten deutschen Autohersteller und zum weltweit größten Fahrradhersteller zu werden. Ermutigt durch den großen Erfolg der 4PS-Reihe (ab 1924) und der 10PS-Reihe (ab 1925) entwickelte Chefkonstrukteur Friedrich Opel 1927 die ausgesprochen noblen 6-Zylinder-Wagen 12/50 PS und 15/60 PS. Damit trat Opel nicht nur gegen die inländische Konkurrenz an, sondern auch bewusst gegen die GMC-Marke Buick, die in dieser Klasse damals so etwas wie das Maß der Dinge darstellte.
1928 nahmen Wilhelm von Opel und Friedrich Opel ¹ als Spitzen der Firma und der Familie Verhandlungen mit GMC über einen Verkauf auf. Es muss ganz klar sein: Der Verkauf war nicht von der Not diktiert und Opel war auch nicht in irgendeiner Krise. Tatsächlich konnten die Opels mit breiter Brust in die Verhandlungsrunden gehen. Den Brüdern ging es vielmehr darum, in solch ungewissen Zeiten den Fortbestand des Unternehmens langfristig abzusichern. Und sicher haben auch familiäre Beweggründe eine Rolle gespielt: Die Brüder Carl und Heinrich waren 1927 mit 57 bzw. 1928 mit 54 Jahren bereits verstorben.

Vor diesem Hintergrund entstand der 24/110 PS „Regent“. Manches um diesen legendären 8-Zylinder-Riesen ² mutet ein wenig rätselhaft an. Dies liegt zweifellos in seiner einmaligen Geschichte, besser gesagt, in seinem einmaligen Schicksal, begründet. Fast, so erscheint es, redet man bei Opel und noch weniger bei GMC nicht gern über ihn.
4-Fenster Luxus-Limousine
4-Fenster Luxus-Limousine
Seinem Schöpfer Friedrich Opel schlichtweg Größenwahn bei der Schaffung des 24/110 PS „Regent“ zu unterstellen, ist sicher völlig falsch. Freilich betrat er mit diesem Wagen eine Bühne, auf der sonst nur die ganz großen Wagen von Mercedes-Benz, Horch und Maybach spielten. Und der Cadillac von GMC. Wir dürfen getrost annehmen, dass der Regent durchaus eine Demonstration in Richtung GMC war, die zeigen sollte, zu welchen Leistungen der Automobilbauer Opel fähig war.
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Die Unklarheiten beginnen bei der genauen Entstehungs- bzw. der Bauzeit des Wagens. Tatsächlich war es damals allgemein üblich, neue Modelle zum Jahresende hin fertig zu stellen, um sie auf der Internationalen Automobil- und Motorrad Ausstellung in Berlin, der wichtigsten Veranstaltung ihrer Art, zu präsentieren. Opels neues Spitzenmodell 24/110 PS „Regent“ wurde dann auch erstmals auf der IAMA im November 1928 vorgestellt. 1929 und 1930 fand wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage keine statt.
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Werbung mit der Angebotspalette für die Pkw; ca. Herbst 1928. Der 24PS-Typ ist (noch) nicht aufgeführt.

Weiter heißt es dann, von April bis Oktober 1929 seien 25 Wagen gebaut worden. Dies erscheint nicht unbedingt überzeugend, denn wenn dies stimmen sollte, wären die Wagen erst nach dem Verkauf der kurz zuvor in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Opel-Werke an GMC gebaut worden. Am 17. März 1929 übernahm General Motors nämlich in einem ersten Schritt 80% der Opel-Aktien. Tatsächlich dürften einige (wenige) Vorausfahrzeuge bereits Ende 1928 fertiggestellt und auch vorgezeigt worden sein. Die meisten anderen sind vermutlich bis zum Sommer 1929 entstanden. Zumindest ist wohl die Anzahl von insgesamt 25 gebauten Wagen unumstritten.
7-Sitzer Tourenwagen
7-Sitzer Tourenwagen
Schauen wir uns den Regent nun etwas näher an!

Die Konstruktion basierte auf einem aus soliden Tiefrahmen aus Pressstahl, der sich vorn und hinten auf starre Halbfedern stützte. Diese Bauweise bescherte dem Wagen einen vergleichsweise niedrigen Gesamtaufzug, so dass auch die großen Limousinen nicht so an Möbelwagen denken ließen wie dies anderweitig der Fall war. Die Räder wiesen Holzspeichen auf und trugen Ballon-Reifen der Größe 32 × 6,75'' SS.
Die Fußbremse wurde bereits hydraulisch betätigt, besaß einen Servo und wirkte auf alle vier Räder. Die Handbremse mechanisch auf die Kardanwelle des heckgetriebenen Fahrzeugs.
Herzstück des Regent war der 8-Zylinder-Reihenmotor, der bei einer Bohrung von 89 × 120 mm einen Hubraum von 5970 cm³ erreichte. Die Verdichtung betrug 1:5,3. Gesteuert wurde der Motor über eine Zahnkette, seitliche Nockenwelle und seitlich stehende Ventile. Der Kraftstoff wurde von einem Doppel-Steigstromvergaser Solex 46 zugeführt. Bei einem Motor dieser Größe kam eine doppelte Batterie-Zündung zur Anwendung. Jeder Zylinder besaß 2 Zündkerzen wie sie normal für Flugzeugmotoren (!) verwendet wurden. Der Verbrauch wird mit 25 Liter/100 km angegeben.
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Erreicht wurde eine Leistung von 110 PS (nach DIN) bei 3200 U/min. Das Drehmoment wird mit 23,6 mkg bei 2800 U/min angegeben.
Das Opel-Dreiganggetriebe mit Schalthebel in Wagenmitte war in Sonderbauart mit einem zusätzlichen Schnellgang nach System Maybach (Übersetzung dann ca.0,65) versehen. Der Schnellgang wurde von der Lenkradnabe aus zugeschaltet. Damit erreichte der Regent eine Geschwindigkeit von 120 km/h.
Respektabel für einen Wagen, dessen Fahrgestell allein bereits 1570 kg wog. Je nach gewähltem Aufbau waren es rund 2200 - 2300 kg. Wurde das Zuladegewicht von 600 kg ausgeschöpft, kamen einem in Gestalt des Regent also knapp 3 Tonnen entgegen!
Beeindruckend auch die sonstigen Maße: Achstand 3770 mm, Spurbreite vorn und hinten 1500 mm. Außenmaße 5400 × 1830 × 1760 mm!

Trotz seiner Dimensionen wirkte der Regent dank sorgfältig ausgewählter und geschmackvoll gestalteter Karosserien keineswegs nur kolossal, sondern beeindruckend elegant. Ganz besonders gilt dies für die Privatwagen der Familie, die die Opels im Juli 1929 beim Schönheitswettbewerb im Rahmen des Baden-Badener Automobilturniers vorführten.
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Die mächtige Pullman-Limousine gehörte Wilhelm von Opel.
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Und hier das Spezial-Sportcoupe, neben dem Fritz von Opel, wie immer nach dem letzten Schick gekleidet, posiert. Sein Onkel Friedrich Opel hält etwas mehr im Hintergrund (stehend vor dem Sonnenschirm). Unübersehbar: das Coupe, dessen Aufbau von Kruck stammen soll, erhielt den 1. Preis für das schönste Auto des Turniers!

Was kostete soviel Schönheit? Bekannt sind folgende Preise:
- 15.000,-- RM für das Fahrgestell mit Motor,
- 19.500,-- RM der siebensitzige Tourenwagen,
- 20.000,-- RM ein bildlich nicht bekannter Roadster und
- 21.000,-- RM die Pullman-Limousine.
Eine 16/60 PS Pullman-Limousine, auch schon alles andere als ein Arme-Leute-Auto, kostete vergleichsweise „nur“ 11.500,- Reichsmark.
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Und wieder ein kleines Rätsel: Wem gehörte das Auto? Es gibt noch weitere Bilder des offenbar zweifarbig lackierten Coupes, die es mit dem Raketen-Fritz zeigen, dem es dann auch zugeschrieben wird. Andererseits heißt es aber ausdrücklich, der Wagen habe Opels Chef-Konstrukteur gehört. Das war aber Fritzens Onkel Friedrich! Der, weil in der Familie und von Freunden ebenfalls Fritz gerufen, oft und gern mit seinem Neffen verwechselt wird.

Im Oktober 1929 griffen die neuen Herren Opels hart und sehr nachhaltig in das Angebot an Pkw ein. Opel musste sowohl den Bau der oben genannten großen 6-Zylinder-Modelle, welche seit Januar nach gründlicher Überarbeitung als 14/50 PS und 16/60 PS angeboten wurden, als auch des 24/110 PS „Regent“ einstellen! Offensichtlich waren den Herrschaften aus Detroit Konkurrenzmodelle zu ihren Buicks und Cadillacs, besonders wenn von der eigenen Tochtergesellschaft hergestellt, ein Dorn im Auge.

Damit nicht genug - bis Jahresende musste Opel alle ausgelieferten 24/110 PS „Regent“ zurückkaufen. Sie mussten verschrottet werden, und offenkundig wurden nicht einmal die Privatwagen der Opels verschont. Ein ungeheuerlicher, bis auf den heutigen Tag völlig einmaliger Vorgang in der gesamten Automobilgeschichte!

In den dreißiger Jahren tauchte der Name „Regent“ beim Typ 1,8 Liter wieder im Opel-Programm auf. Allerdings hatten diese Autos mit der 8-Zylinder-Legende nichts gemein.



¹ Die Opel-Söhne Carl, Wilhelm und Heinrich wurden 1917 bzw. 1918 in den erblichen Adelsstand erhoben. Sie und ihre Nachkommen hießen also fortan „von Opel“! Friedrich dagegen blieb, aus welchen Gründen auch immer, ein Gemeiner. Ludwig, der Jüngste, war 1916 gefallen.
² Im Zusammenhang mit dem Regent konnte Opel darauf verweisen, dass man als erster deutscher Hersteller bereits 1921 einen 8-Zylinder-Motor für Pkw entwickelt und auch erfolgreich in Rennwagen eingesetzt hatte.


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