Im Spätsommer 1965 löste der Kadett B den Kadett A ab, der seinen Auftrag nach 649.512 gebauten Einheiten erfüllt hatte. Und das mit Bravour! Das sympathische Wägelchen hatte sich als mustergültige Konzeption für ein kleines, aber eben „ein richtiges“, ein vollwertiges Auto erwiesen, das den Opel-Anteil am deutschen Markt von 16 % auf 23 % gesteigert hatte, während der VW-Anteil von 34 % auf 28 % sank.
Heinrich Nordhoff (1899 - 1968) - Ausgerechnet ein früherer Opel-Mann! - der seit 1948 als Generaldirektor in Wolfsburg mit fast schon wieder bewundernswertem Starrsinn darum rang, aus dem Buckel-Porsche so etwas wie ein Auto zu machen, musste schon einige recht drastische Mittel anwenden, um noch Schlimmeres von Volkswagen abzuwenden! Dass es den Käfer, zuvor in seiner Klasse ja ohne Konkurrenz, nicht noch ärger beutelte, lag aber wohl hauptsächlich daran, dass das hochmoderne Bochumer Kadett-Werk noch viel zu klein geplant worden war...
Mitte 1962 hatte GM den bisherigen Chefdesigner von Chevrolet, Claire McKichan, zu Opel nach Rüsselsheim beordert und zum ersten Direktor der dortigen Styling-Abteilung ernannt. Die es bei seinem Eintreffen noch gar nicht gab. Was es in Rüsselsheim gab, nannte sich die „Entwurfsabteilung“ – eine kleine, wenn auch hochmotivierte Truppe von Designern und Modellbauern, die in einem viel zu engen Verschlag hockte, wo es nicht einmal die Möglichkeit gab, neue Projekte zu präsentieren. Werkzeugausstattung und Arbeitsmethoden waren schlichtweg altmodisch.
Nun, das hatte bis dahin genügt. Denn die damals aktuellsten Opel-Modellreihen, Kadett A (1962), Rekord A (1963) und auch noch die KAD A-Reihe (1964), hatten ihre äußeren Formen maßgeblich in Detroit unter McKichans Leitung bekommen, während sich die Zuständigkeit der Entwurfsabteilung in Rüsselsheim auf die Gestaltung von Details wie etwa Schriftzügen, Chromleisten und der Inneneinrichtung beschränkte. – So waren die Gewichte nun einmal verteilt!
McKichans Aufgabe war es nun, den gesamten Design- oder Stylingbereich bei Opel zu vergrößern und weiterzuentwickeln, um ihm innerhalb des Unternehmens eine neue Selbständigkeit und damit eine ganz andere Bedeutung zu geben.
Claire McKichan strukturierte die Abteilung nun nach GM-Vorbild um und bis Ende 1962 erfolgte der Umzug in einen neu errichteten, modernen und geräumigen Flachbau, völlig unabhängig von den übrigen Werksanlagen. (Das Gebäude gehört noch heute zum GME Design Center in Rüsselsheim.) Innen gliederte es sich in sechs Studios, von denen drei dann jeweils für eine bestimmte Baureihe die Karosseriegestaltung übernahmen. So wurde es üblich, z.B. vom „Rekord-Studio“ oder vom „KAD-Studio“ zu sprechen. Im vierten Studio wurden die Innenräume gestaltet. Fünf und sechs hatten mit dem konkreten Aussehen neuer Modellreihen nur mittelbar zu tun: das Karosserieentwicklungs-Studio befasste sich mit den konstruktiven Belangen, indem es dafür sorgte, das Bauteile wie z.B. die vorgesehenen Motoren auch in die neuentwickelten Karosserien hineinpassten. Ein nicht völlig unwichtiger Aspekt! Das letzte, vielleicht das Herzstück, war das Vorausentwicklungs-Studio, das mit Forschungsaufgaben betraut wurde. Es beschäftigte sich nicht nur mit der Weiterentwicklung der gerade im Bau befindlichen Fahrzeuge (Stichwort „facelift“), sondern auch mit zukünftigen Projekten – Stichwort „advanced design“ – also mit Entwicklungen, die (vielleicht) erst in fünf oder zehn Jahren zum Tragen kommen würden. Leiter der Vorausentwicklung wurde Erhard Schnell, der zuvor ein Jahr lang bei McKichan in Detroit seinen Feinschliff als Automobildesigner erhalten hatte.
Als es dann 1962/63 darum ging, wie die nächste Generation des Kadett bzw. des Rekord auszusehen hatte, ließ Hans Mersheimer, Chefingenieur und bis 1967 Technischer Leiter der Adam Opel AG, seine versammelten Designer wissen: „Und eines will ich Ihnen sagen: Die Chevrolet-Wagen sind die schönsten Wagen überhaupt!“ - Ein Ausspruch fürs Merkheft und somit war die Marschrichtung vorgeben. Wir schildern dies deshalb in epischer Breite, weil der Kadett B dann der erste in Großserie gebaute Opel-Wagen werden sollte, der in der Zuständigkeit der neuen Styling-Abteilung seine Formgebung erhielt. Auch, wenn selbstverständlich Bill Mitchell, GM-Chefdesigner in Detroit, in Sachen Formgestaltung das letzte Wort behielt. Wie die Bilder belegen, waren die Entwicklungsarbeiten alsbald in vollem Gange! Da kann es kaum noch verwundern, dass als Vorbilder die aktuellen Modelle des Chevelle oder Corvette von Chevrolet herangezogen wurden und damit deren neue Formensprache im „Coke-Bottle-Look“ Einzug in den deutschen Automobilbau hielt. Dessen prägendes Merkmal war die im Bereich der Hinterachse im Bogen nach oben geführte Seitenlinie, die später beim Rekord C ihren wohl schönsten Ausdruck fand. Von manchen gar als „erotischer Hüftschwung“ empfunden.
Bei der Entwicklung des Kadett B mussten sich Opels Ingenieure und Techniker ziemlich ranhalten, denn dem Kadett A sollte bis 1965 ja eine nur dreijährige Laufzeit beschieden sein.
Das unübersehbar deutlichste Ergebnis dieser Arbeiten war ein beträchtliches Größenwachstum. Keine Frage - schon der Kadett A wartete in Hinsicht auf Raumangebot und Bequemlichkeit für die Insassen, Größe des Kofferraums usw. mit Eigenschaften auf, von denen Besitzer vergleichbarer Autos bestenfalls träumen konnten. Die Karosserie seines Nachfolger legte nun in der Länge um 18 cm und in der Breite um 10 cm merklich zu, wobei auch der Radstand um 91 mm auf nun 2416 mm vergrößert wurde. Das Größenwachstum kam fast vollends dem Innenraum zugute. Sorgfältig ausgearbeitete Detaillösungen, wie etwa die nach außen gewölbten Seitenscheiben, trugen das ihre dazu bei. Die Opel-Presseabteilung hob hervor: „Die Komfortmaße haben beachtlich zugenommen. So wurden unter anderem die hintere Hüftbreite um 206 mm, die Schulterbreite vorn um 90 mm und hinten um 73 mm größer. Das Kofferraum-Staumaß wuchs um rund 12 Prozent auf 337 Liter nach VDA-Norm.“ Als Limousine und Kombi wurde der Typ B somit zum ersten Kadett, der offiziell als Fünfsitzer galt. (Das Coupé blieb weiterhin nur für vier Personen zugelassen.)
Dem gegenüber hielten sich die Neuerungen in Hinsicht auf die Technik eher in Grenzen:
Der größere Radstand verlieh dem Wagen zwar eine etwas bessere Straßenlage, aber ansonsten blieb beim Fahrwerk alles beim Alten.
Die Bohrung des Basis-Vierzylinders vergrößerten die Opel-Ingenieure um drei Millimeter. Aus nun 1.078 cm³ Hubraum kamen jetzt 45 PS Leistung. Als Alternative war der höher verdichtete 11S Motor mit 55 PS erhältlich.
Der Kadett Typ B war der erste mit 12-Volt-Bordnetz, womit Opel der wachsenden Schar von Stromverbrauchern in den Autos (Radio, heizbare Heckscheibe, ...) Rechnung trug. Ein zeitgenössischer Test dazu: „Sehr begrüßenswert ist die Umstellung auf 12 Volt, so dass von den tonangebenden Marken jetzt nur noch VW, Ford und BMW sich mit 6 Volt in einer gewiss nicht mehr zeitgemäßen Sparsamkeit üben!“ Die Instrumente im Cockpit waren nicht mehr verdrahtet, sondern besaßen eine gedruckte Schaltung.
Im September 1965 war es geschafft... Die Sensation auf dem Opel-Stand – wenn nicht die der gesamten IAA 1965 – war allerdings der GT Experimental, der dem staunenden Publikum als fahrbarer Prototyp vorgestellt wurde. Solch ein Auto hatte man von Opel nicht erwartet - Die Resonanz auf den schicken Sportwagen war überwältigend! Hunderte von Kaufverträgen hätte Opel hätte noch während der IAA abschließen können.
Doch die verantwortlichen Herren am Opel-Stand überboten sich mit Dementis: „Nein, nein, abermals nein! Der GT habe keinerlei Chancen auf Serienfertigung. Es sei, sozusagen, ein Hochleistungslabor auf Rädern. Nur gebaut, um die Möglichkeiten des neuen Testzentrums Dudenhofen im Bereich sehr hoher Geschwindigkeiten auszuloten.“ Manche mochten es gar nicht glauben. Das Testzentrum Dudenhofen war zu dem Zeitpunkt übrigens noch im Bau.
Armer Kleiner! Der neue Kadett B stand dagegen ziemlich unbeachtet im Hintergrund, wenngleich vor allem die Wolfsburger angespannt, aber eher grimmig, herüberschauten. Genau so der Rekord B, äußerlich mehr oder weniger eine Überarbeitung der A-Reihe, mit der allerdings eine komplett neu entwickelte Motorengeneration eingeführt wurde. Selbst in den Fernsehberichten des Hessischen Rundfunks und des Zweiten Deutschen Fernsehens reichte es für beide zu kaum mehr als einem kurzen Kameraschwenk und einer Erwähnung „unter ferner liefen“.
Das Schauspiel wiederholte sich unter ganz ähnlichen Vorzeichen auf dem Automobil-Salon in Turin, wo der Kadett B sein Debüt auf internationalem Parkett gab.
Mit dem Kadett B nahm bei Opel die sog. Diversifikation in der kompakten Wagenklasse ihren Anfang. Im Unterschied zum Kadett A, wo sie erst nach und nach eingeführt wurden, standen gleich bei Beginn der Fertigung mehrere, sprich vier, Karosserievarianten zur Auswahl: 2-türige Limousine, 4-türige Limousine (erstmals angeboten), Coupé L und 2-türiger Kombi (CarAVan).
Der Kunde hatte die Wahl zwischen Standard- und Luxus-Ausstattungen. Diese beinhaltete unter anderem Teppichboden, elegantere Polster und Verkleidungen, eine Uhr, Stoßstangenhörner sowie Chromleisten an Radläufen und Schwellen oder eine Motorhauben-Fernentriegelung.
Nach Typschlüssel-Nummern stellte sich das Angebot so dar:
- Typ 31 - zweitürige Limousine Standard
- Typ 32 - Coupé L („Kiemen-Coupe“). Serienmäßig L-Ausstattung.
- Typ 34 - zweitüriger Kombi Standard
- Typ 36 - viertürige Limousine Standard
- Typ 37 - viertürige Limousine mit L-Ausstattung
- Typ 38 - zweitürige Limousine mit L-Ausstattung
- Typ 39 - zweitüriger Kombi mit L-Ausstattung
Dazuzurechnen (Typschlüssel-Nummer?) ist noch ein zweitüriger Lieferwagen, der allerdings in Deutschland nicht angeboten wurde. Wohl aber in Skandinavien und möglicherweise in den Benelux-Ländern. Wenn wir gerade beim Thema „Sonderkarosserien“ sind... Wie zuvor beim A-Modell bot der Karoseriebauer Josef Welsch & Sohn (Mayen / Eifel) alsbald den Umbau des Kadett B zum Cabriolet an. 1970 vernichtete ein Großfeuer Werkstatt und Unterlagen und damit war dieses Angebot beendet. Rund 30 von etwa 50 Kadett Cabrioumbauten sollen auf der Basis des B entstanden sein. Ob unter südlichen Palmen oder vor norddeutschem Ziegelfachwerk - ein schickes Auto! ➔ Im Dezember gab eine Modifikation am Dachhimmel und dessen Befestigung und damit die früheste Bauartänderung am Kadett B.
Schnell wurde der neue Kadett zum Erfolg: Allein bis Ende 1965 liefen in Bochum mehr als 87.000 Limousinen und 18.200 Caravan von den Fließbändern, die ihn auf den ersten Platz in der deutschen Zulassungsstatistik rücken ließen.