Kleine Typenkunde — Opel Patent-Motorwagen System Lutzmann

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TseHa
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Kleine Typenkunde — Opel Patent-Motorwagen System Lutzmann

Beitrag von TseHa » Di 10. Mär 2009, 03:00

„Stillstand ist Rückschritt!“ - Opels Weg zum Automobilbau
Adam Opel - Gemälde 1891
Adam Opel - Gemälde 1891
Was Adam Opel selbst zu dem Vorschlag gesagt hätte, Automobile zu bauen? Ob es seinen Söhnen gelungen wäre, den Vater davon zu überzeugen, wie zuvor in 1886 von der Aufnahme der Fahrradfertigung? Wir können es nicht wissen. Technischen Neuerungen stand Adam Opel durchaus aufgeschlossen gegenüber, sofern er, der nüchtern rechnende Kaufmann, darin einen Sinn entdecken konnte. So führte er bereits um 1890 elektrische Beleuchtung ¹ in der gesamten Fabrik ein.

Auch das erste Jahrzehnt der Automobilgeschichte in Deutschland hat er sicher mit wachem Interesse verfolgt. Doch wie viele seiner Zeitgenossen war er zunächst einmal skeptisch. „Stinkende Blechkutschen“ soll er gesagt und gemeint haben, diese klapprigen und störanfälligen Vehikel hätten keine große Zukunft, seien bloß ein Spielzeug für Millionäre. Bestimmt hatte er der Presse auch die Berichte über den unglückseligen Münchener entnommen, der sich als erster Privatmann in Deutschland ein Automobil bestellt hatte. Noch bevor es geliefert wurde, landete der Ärmste wegen geistiger Umnachtung in der Irrenanstalt. Nicht nur Carl Benz erblickte darin ein ganz böses Omen – Viele prophezeiten, allen anderen Automobilisten werde es genau so ergehen!

Gleichwohl scheint er aber dann doch Gefallen am Automobil gefunden zu haben. Oder erlag er doch wieder dem Drängen seiner technik- und sportbegeisterten Buben? Wie auch immer, unter dem Datum 14. März 1895 hält das „Controllbuch“ der Firma Benz & Cie. fest, dass der im Februar bestellte Phaeton an Adam Oppel, Rüßelsheim, Nr. 120 ausgeliefert worden ist. ²
95_Benz-Controllbuch.jpg
Es war ihm aber nicht beschieden, sich allzu lange an seinem Benz-Wagen erfreuen. Auf einer Geschäftsreise im Sommer 1895 infizierte sich Adam Opel mit Typhus. Als die Erkrankung ausbrach und behandelt wurde, war es zu spät: am 8. September 1895 verstarb er. Der erfolgreiche Firmengründer hinterließ seiner Frau Sophie und den fünf Söhnen ein gesundes und wohlgeordnetes Unternehmen. Nähmaschinen hatten die Firma groß gemacht; Fahrräder und Kellereimaschinen (Kapsel- / Korkmaschinen) für die Weinbaubetriebe an Rhein und Main und die zahlreichen Obstkeltereien in Hessen ergänzten das Programm wegen der jahreszeitlich stark unterschiedlichen Nachfrage hervorragend.
Die Opel-Söhne 1894
Die Opel-Söhne 1894
Sophie Opel übernahm die Leitung der Firma, wobei sie ihr Schwager Georg weiterhin so tatkräftig unterstützte wie zuvor seinen Bruder. Die Söhne, beim Tod des Vaters zwischen 26 und 15 Jahre alt, wuchsen in die Firma hinein und übernahmen verantwortliche Stellen. Carl und Heinrich wählten das kaufmännische Fach, Wilhelm und Friedrich studierten Maschinenbau an der schon damals hochrenommierten TH Darmstadt.

1896 gaben die Opels die Fabrikation der Kellereimaschinen auf, um diese Kapazitäten für die anderen Fertigungen frei zu machen. Die Familie unterstützte zwei verdiente Werksangehörige dabei, sich mit den Kellereimaschinen selbständig zu machen. Das daraus hervorgegangene Maschinenbauunternehmen besteht heute noch.

Im Spätsommer 1897 machte ein besonderes Ereignis Schlagzeilen. Die Zeitungen kündigten die bevorstehende Gründung des ersten Automobil-Vereins im Deutschen Reich für den 30. September 1897 in Berlin an! Gleich daran anschließend sollte auch die erste „Automobilrevue“ auf deutschem Boden abgehalten werden. Jetzt waren die Opel-Buben, die ohnehin längst auch für Automobile schwärmten, kaum mehr zu bremsen – bei diesem sensationellen Ereignis wollten, nein, mussten sie dabei sein!

So reisten also Carl, Wilhelm, Heinrich und Friedrich in die Reichshauptstadt. Nur den erst siebzehnjährigen Ludwig ließ die gestrenge Frau Mama nicht weg.

In Berlin kreuzten sich dann zum ersten Male die Wege der Opel-Söhne mit denen des Friedrich Lutzmann, denn an jenem 30. September 1897 war Lutzmann eines der 51 Gründungsmitglieder des ersten deutschen Automobil-Clubs, die sich im noblen Hotel Bristol, an Berlins feinster Adresse Unter den Linden gelegen, versammelten. Unter ihnen waren mit Carl Benz, Gottlieb Daimler ³ und Rudolf Diesel die wichtigsten Köpfe des deutschen Automobilbaus, der Vater der Luftschiffe, Graf Zeppelin, Oskar von Miller, Wegbereiter der Wasserkrafttechnik und späterer Begründer des Deutschen Museums in München, der sagenhaft reiche Sektfabrikant Heinrich Soehnlein und Emil Rathenau, Gründer der AEG - um nur einige der klangvollen Namen aus Technik und Industrie zu nennen. Entschlossen, „das Motorwagenwesen zum Segen der Gewerbetätigkeit und zur Annehmlichkeit des unabhängigen Verkehrs des Einzelnen zu fördern“, gaben sie dem Verein den überaus stolzen Namen Mitteleuropäischer Motorwagen-Verein.

Nach der Gründungssitzung fand eine öffentliche „Vorführung von Motorwagen“ statt, wie im Vereinsbericht vermerkt ist: „Der Besichtigung der Wagen ob ihrer tauglichen Bauausführung und verkehrlichen Sicherheit durch die Herren des Vorstands schloss sich eine Motorfahrt in den Grunewald an.“ Die Stimmung war euphorisch. Der zum Präsidenten des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins gewählte preußische Oberbaurat a.D. Klose erläuterte den zahlreichen Pressevertretern: „Als Motorfahrzeuge, welche ihre Energie zur Fortbewegung mit sich führen, machen sich zur Zeit drei Gattungen bemerkenswert, nämlich: durch Dampf bewegte Fahrzeuge, durch Ölmotoren bewegte Fahrzeuge und durch Elektrizität bewegte Fahrzeuge. Die erste Gattung dürfte voraussichtlich in Zukunft hauptsächlich für Wagen auf Schienen und schwere Straßen-Fahrzeuge in Betracht kommen, während das große Gebiet des weiten Landes von Ölmotorfahrzeugen durcheilt werden und die glatte Asphaltfläche der großen Städte wie auch die Straßenschiene von mit Sammlerelektrizität getriebenen Wagen belebt sein wird."

So sahen sie aus, deutsche Automobile im Jahre 1897:
97_Benz.jpg
Benz „Victoria“
97_Daimler-Riemenwagen.jpg
Daimler „Riemenwagen“
97_Kuehlstein-Jagdwagen.jpg
Kühlstein „Jagdwagen“
97_Lutz-Pfeil.jpg
Lutzmann „Pfeil“

Gerade einmal vier deutsche Fahrzeughersteller waren also am Start vertreten: Carl Benz aus Mannheim mit drei Wagen, Friedrich Lutzmann aus Dessau mit zwei Wagen, Gottlieb Daimler aus Bad Cannstatt mit einem Wagen. Dies waren allesamt Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Dazu kam noch Eduard Kühlstein aus Berlin-Charlottenburg mit einem Elektrofahrzeug. Ein wenig hatte es schon die Form eines Wettbewerbs: es war ein Lutzmann-Wagen, der als erster wieder aus dem Grunewald herauskam und dafür einen Lorbeerkranz erhielt.

Nach diesem öffentlichen Teil waren die Vornehmen, Wichtigen und Betuchten in den prachtvollen Ballsaal des Hotels Bristol zur ersten Automobilausstellung in Deutschland geladen. Man war übereingekommen, dass dort jeder Hersteller zwei Fahrzeuge ausstellen durfte. Ein Ereignis für die feine Gesellschaft, aber, immerhin, aus diesem Anfang sollte sich die IAMA und spätere IAA entwickeln.
___

Es lässt sich leicht denken, dass die Opel-Brüder überwältigt von den Eindrücken dieser Veranstaltung und voller Begeisterung den Heimweg nach Rüsselsheim antraten. Was vorher vielleicht nur ein enthusiastischer Gedanke gewesen war, nämlich vielleicht dereinst selbst Automobile zu bauen, reifte nach Berlin zur festen Absicht. Doch so ganz einfach war das nicht!

Unerwartete Schützenhilfe erhielt der Plan durch die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1898. Am Ende des 19. Jahrhunderts ebbte in Europa der Boom in der Fahrradproduktion ab – Hunderte von Unternehmen hatten begonnen, Fahrräder herzustellen, und damit waren bedeutende Überkapazitäten entstanden. Zwar hielten die vorzüglichen Opel-Räder ihre glänzende Position auf dem Markt und die Marke feierte weiterhin beständig sportliche Triumphe – so wurde z.B. 1897 sowohl die Europa- als auch die Weltmeisterschaft auf Opel-Rennrädern gewonnen – doch trotzdem zwang die ständig wachsende Konkurrenz Opel zu Preissenkungen und schon 1898 musste man einen merklichen Rückgang der Produktion hinnehmen. Zwischen 1898 und 1902 pendelte der stagnierende Absatz der Fahrräder zwischen etwa 11.500 und 15.000 Stück.
Zwar kletterte die Herstellung von Nähmaschinen in gleichen Zeitraum von ca. 22.000 auf ca. 34.000 Stück, und somit konnten die Umsatzrückgänge bei den Fahrrädern weitestgehend ausgeglichen werden, aber auch in dieser Branche zeichneten sich bereits die selben Entwicklungen ab. Die Zahlen der Kaufleute sprachen eine eindeutige Sprache. 1903 kam es dann hier zu einer ernsten Absatzkrise.
Es erschien also auch aus unternehmerischer Sicht dringend geboten, die Produktpalette der Opel-Werke beizeiten um eine zukunftsträchtige Branche zu erweitern, wollte man diesen Entwicklungen gewappnet gegenüber treten. Und was konnte dies anderes sein als der noch in den Kinderschuhen steckende Automobilbau! Vor diesem Hintergrund erteilte dann auch „Mutter Opel“, wie die ebenso resolute wie warmherzige Sophie Opel von den Werksangehörigen genannt wurde, ihr Einverständnis.

Ein Problem, und zwar das wichtigste, war damit aber noch nicht gelöst: Wie baut man denn überhaupt Automobile?

Die Opel-Brüder waren mehr als nur wohlhabende Unternehmer, als Kaufleute besaßen sie weltweit beste Geschäftsbeziehungen und als Techniker beste Kenntnisse in modernen, auf große Stückzahlen ausgelegte Produktionsverfahren. Es standen weitläufige, modern ausgerüstete Fabrikanlagen zur Verfügung und die Firma konnte sich auf Hunderte, hochmotivierte und zum größten Teil im eigenen Hause vorzüglich ausgebildete Mitarbeiter stützen ... Ausgezeichnete Voraussetzungen also, nur, dass eben niemand Kenntnisse im Automobilbau hatte!

Es war also völlig klar, dass das kühne Vorhaben ohne Hilfe und Unterstützung von außen nicht zu realisieren war. Die Opel-Brüder machten sich folglich auf die Suche nach einem geeigneten Partnerunternehmen.

Zuerst wandten sie sich an Carl Benz und Gottlieb Daimler, die Urväter des Automobils. Doch sowohl Benz wie Daimler ließen sie ziemlich harsch abblitzen, dachten nicht einmal im Traum daran, einem etwaigen Konkurrenten auch noch Starthilfe zu leisten.
Kühlstein, der Berliner, hatte sich erst 1898 endgültig selbständig gemacht und sein erstes Fahrzeug mit Verbrennungsmotor angefertigt. Der schied also ebenso aus wie fünf oder sechs andere Neugründungen in diesem Jahr.
Und somit blieb als letzte Möglichkeit innerhalb des Deutschen Reiches die „Anhaltische Motorenwagen-Fabrik" von Friedrich Lutzmann übrig - seit 1894 Produzent von Automobilen eigener Konstruktion zu Dessau und damit ebenfalls einer der Pioniere dieser noch so jungen Industrie. Doch gleichwohl hatten sich die Fahrzeuge aus der Dessauer Fabrik in den knapp vier Jahren bereits einen sehr guten Ruf erworben: sie galten als leistungsfähig, schnell und robust. Stolz konnte Lutzmann auf Lieferungen nach England, Frankreich, Holland, Polen und etliche andere europäische Länder verweisen - sogar im fernen Arabien fuhren schon welche!

Warum also nicht mit Lutzmann reden? Wilhelm und Friedrich, als die beiden Ingenieure, wurden ausersehen, den Kontakt mit Friedrich Lutzmann aufzunehmen, um sich die Fahrzeuge genau anzusehen und vorsichtig abzuklären, ob unter Umständen mit ihm ins Geschäft zu kommen sei. Lutzmann antwortete freundlich und verbindlich. Natürlich waren ihm die Opel-Werke als führender Fahrradhersteller ein Begriff, denn schließlich handelte er seinerseits auch mit Fahrrädern, wenngleich mit der englischen Marke Rover. Aber, unter Umständen war ja mit den Opels ins Geschäft zu kommen.

Lutzmann sprach also eine Einladung an die beiden Brüder aus, nach Dessau zu kommen und seinen Betrieb und seine Erzeugnisse kennen zu lernen. Und die nahmen die Einladung dankend an, wie man sich nur zu gut vorstellen kann!
Lutzmann - Fotografie um 1900
Lutzmann - Fotografie um 1900
Im Folgenden soll nun zunächst Friedrich Lutzmanns Lebensweg bis hierhin nachgezeichnet werden.

  • ¹ Eine Sensation zur damaligen Zeit, da noch viele glaubten, es wäre mit des Teufels Hilfe gelungen, Stückchen vom lieben Sonnenlicht in diese Glaskugeln zu sperren. Und wenn der Teufel dann die Glaskugel platzen ließ, ja, dann brannte das Haus ab!
    ² Rüßelsheim mit ß war damals so korrekt. Opel mit zwei P ist ein offenkundiger Schreibfehler; ein anderes Dokument gibt den Namen richtig wieder.
    ³ Dies war übrigens die einzige Gelegenheit, bei der sich Carl Benz und Gottlieb Daimler einmal persönlich begegneten. Wie alle Zeitzeugen berichteten, würdigten sich der Badener und der Schwabe gegenseitig keines einzigen Blickes!

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Re: Kleine Typenkunde — Opel Patent-Motorwagen System Lutzmann

Beitrag von TseHa » Mi 11. Mär 2009, 01:40

Friedrich Leopold Lutzmann wurde am 5. April 1859 in Nienburg (Saale) als ältester Sohn von Christian Carl Lutzmann, herzoglicher Steueraufseher und Kreiskassenkontrolleur, und dessen Frau Karoline Frederike, geb. Krause, geboren. Ihm folgten zwei Brüder und eine Schwester. Zunächst besuchte er die Bürgerschule in Nienburg, um dann zwischen seinem 10. und 16. Lebensjahr die Gymnasien in Dessau und Cöthen zu besuchen.
Anscheinend fehlte der Familie das Geld, um den talentierten Jungen studieren zu lassen, denn anschließend machte er eine Lehre als Bauschlosser und Spengler. An diese drei Jahre schloss sich eine Ausbildung zum Werkzeugschmied für ein Jahr an. Den Lehrjahren folgten wie üblich die Wanderjahre als Geselle. Lutzmann arbeitete u.a. in Kunst- und Baumaschinenschlossereien in Leipzig, Apolda und Koblenz. Zwischendurch leistete er seinen Militärdienst.
Danach war er bei der Dessau-Cottbuser-Maschinenbau AG in Cottbus und der Verwaltung der Gasanstalt zu Dessau tätig, wo er für die Verlegung von Gasrohrleitungen und die Installation von Gasapparaten und Dampfkesseln zuständig war. Es folgte eine Tätigkeit in der Maschinenfabrik Richard Baumbach in Dessau, wo er sich besonders mit dem Härten von Stählen sowie dem Bau von kleineren Maschinen beschäftigte.
Danach zog es ihn erneut hinaus auf die Wanderschaft, da er sich vor allem zur Kunstschlosserei hingezogen fühlte. So arbeitete er in Dresden bei dem damals berühmten Herrmann Darme, von wo aus er nach Wien ging, um in der Werkstatt der königlich-kaiserlichen Hofkunstschlosserei seine Ausbildung zu vollenden. Im Januar 1884 reiste Lutzmann weiter, um in Italien zu arbeiten. Nach etlichen Stationen dort führte ihn seine Wanderschaft in die Schweiz, wo er für ein ganzes Jahr mit dem gefeierten Kunstschlosser Johann Meyer in Luzern arbeitete. Den Abschluss bildete ein halbes Jahr als Werkstattleiter in einer Berliner Kunstschlosserwerkstatt.
Zur damaligen Zeit war das Gebiet, das im Wesentlichen dem heutigen Sachsen-Anhalt entspricht, eine aufstrebende Industrieregion. Dessau entwickelte sich vom Provinznest zur Industriestadt mit Unternehmen besonders des Maschinen- und Anlagenbaus und der Lebensmittelindustrie. (Vollends berühmt wurde die Stadt ab 1892 durch den Namen Hugo Junkers und dessen 1915 gegründeten Junkers-Flugzeugwerke.) Lutzmann ließ sich dort 1886 nieder und eröffnete eine eigene Werkstatt als Bau- und Kunstschlosserei in der Askanischen Straße 125. Innerhalb von drei Jahren entwickelten sich die Geschäfte so gut, dass Lutzmann das bislang gemietete Anwesen kaufen konnte. Privates Glück stellte sich auch ein: am 24. September 1887 heiratete er Alwina Hulda Pohle aus Raguhn.
So, wie seine Arbeiten bekannter wurden, wurden auch die Kunden gewichtiger und prominenter. Als wichtigsten und prestigeträchtigsten Auftrag bis dato fertigte Lutzmann 1889 ein großes Ziergitterensemble mit zweiflügeligen Eingangstoren für das neugebaute Palais des Erbprinzen von Anhalt an. Für diese Arbeit erhielt er am 21. Mai 1889 von diesem das Prädikat eines „Hofschlossermeisters“ verliehen. Daneben brachte ihm dies auch den Auftrag ein, künftig die Wartung und allfällige Reparaturen am Kutschenpark des Herzogs zu besorgen. Aus dieser Beschäftigung ging ein am 18. August 1890 erteiltes Patent auf einen verstellbaren Scherbaumhalter hervor, mit dem das Ein- und Ausspannen der Pferde wesentlich schneller und einfacher vonstatten ging.
Weiterhin eröffnete Lutzmann eine Fahrradwerkstatt, die, außer allen gängige Reparaturen zu erledigen, auch Fahrräder der englischen Firma Rover verkaufte.

Dann kam der 28. April des Jahres 1893, der Tag, der das Leben des Friedrich Lutzmann umkrempeln sollte! Aus der Zeitung erfuhren er und sein Freund Fritz Koch, dass der bekannte Industrielle Fritz Kühne aus Leipzig beabsichtige, mit seinem viersitzigen Benz Victoria Vis-a-Vis eine Fernfahrt von Leipzig nach Dessau zu unternehmen und werde dort das Fahrzeug für jedermann zugänglich betrachten lassen. Eine Sensation, ein Spektakel - der erste Motorwagen in Dessau! Das musste man gesehen haben, da musste man dabei sein!
Lutzmann und Koch waren dabei und begutachteten das Fahrzeug. Sie unterhielten sich ausgedehnt mit Kühne, der freundlich Rede und Antwort stand und die Vorzüge der Motorwagen von Carl Benz erläuterte. Nicht völlig uneigennützig, denn Kühne, der mit dem Bau von Zentralheizungsanlagen ein Vermögen gemacht hatte, hatte aus Begeisterung für die Motorwagen auch die Vertretung der Firma Benz übernommen.
Lutzmann beschloss nach eigenen Worten noch am Abend dieses denkwürdigen Tages, selbst Motorwagen zu bauen und bestellte im Mai über Kühne einen eigenen Victoria Vis-a-Vis bei der Firma Benz & Co in Mannheim. Vier Monate später stand der Wagen abholbereit. Auf der Rückreise wurden Lutzmann und Koch, wie damals üblich, von einem Werksmonteur (auch „Einfahrmeister“ genannt) begleitet, den sie am Leipziger Hauptbahnhof entließen, um die letzte Etappe bis Dessau allein zurückzulegen.

Geschäftstüchtig wie sie waren, eröffneten Lutzmann und Koch am 17. September 1893 gemeinsam den "Motorwagen-Fahr-Verkehr". Mit dem Benz befuhren sie die Strecken von Dessau nach Wörlitz und Aken, wobei die Fahrtzeit für die jeweils ca. 15 Kilometer etwa eine Stunde betrug. Mit einer Mark pro Person und Strecke war der Fahrpreis nicht gerade billig, aber nicht nur Einheimische, sondern auch zahlreiche Passagiere aus der näheren und weiteren Umgebung nutzten gern diese ziemlich einmalige Möglichkeit, einmal mit einem Motorwagen zu fahren. Als zum Winter hin die Nachfrage nach Fahrten in dem, treffender wäre wohl auf dem, völlig offenen Wagen merklich zurück ging, stellten sie den Linienverkehr ein, um am 19. Januar 1894 das Unternehmen erneut zu starten. Jetzt hatte der Benz ein eigens für das Fahrzeug angefertigtes Verdeck aus Leder.
Nachdem Wörlitz und Aken durch die Eröffnung der Eisenbahnstrecke am 22. September 1894 schneller und günstiger zu erreichen waren, wurde der Betrieb eingestellt. Lutzmann und Koch hatten aber gleich die nächste Geschäftsidee parat: indem sie „Fahrdienste aller Art“ in Dessau und Umgebung übernahmen, wurden sie die ersten Kraftdroschkenunternehmer Deutschlands und begründeten damit das Taxigewerbe! Und das bereits mit Lutzmann-Automobilen!
93_Lutz_1.jpg
Die oben geschilderte Winterpause hatte Lutzmann nämlich bestens genutzt, um seinem Ziel, selbst eigene Motorwagen zu bauen, näher zu kommen. Man kann sich bildlich vorstellen, wie er und Koch den Benz in alle Einzelteile auseinander bauten, um den Geheimnissen seiner Grundkonstruktion und des Innenlebens der Bauteile auf die Schliche zu kommen. Erstes Ergebnis dieser Bemühungen war ein dreirädriges Versuchsfahrzeug, eher ein „Motorkarren“ als ein Automobil. Das Foto zeigt Lutzmann hinten am Lenker; der Passagier ist sein Freund und Partner, der Mechanikermeister Fritz Koch.
Lutz_Pfeil_03.jpg
Und schon Ende Mai 1894 rollte der erste Motorwagen nach Patent Lutzmann mit dem Namen „Pfeil“ durch Dessau! Hier präsentiert er sich, abgelichtet vor dem Friederiken-Park in Dessau.

Lutzmann erfand das Automobil sicherlich nicht vollkommen neu, aber ihm vorzuwerfen, er habe lediglich von Benz abgekupfert, tut ihm zweifellos Unrecht an. Richtig ist, dass Lutzmann eine Vielzahl von Neuerungen und Verbesserungen ersann, entwickelte und in den Automobilbau einführte. Dies lässt sich an der Vielzahl der ihm erteilten Patente eindrucksvoll ablesen. Manches davon war bahnbrechend und wurde zum allgemeinen Standard.

So waren z.B. die Motoren eine völlige und höchst fortschrittliche Eigenentwicklung und mit die ersten Verbrennungsmotore mit elektrischer Zündung überhaupt! Sie besaßen eine patentierte elektrische Zünd- und Auslassventilsteuerung mit selbsttätiger Ein- und Ausschaltung. Die Motoren konnten variabel für verschiedene Leistungsstärken eingestellt werden. Ihre Betriebstauglichkeit und Lebensdauer verbesserte er nachhaltig durch die Einführung der Kühlvorrichtung für Motorfahrzeuge. Lutzmann integrierte den von ihm entwickelten Oberflächenvergaser in den Kraftstofftank, der als „Sicherheits-Benzinvorratsbehälter für Motorfahrzeuge“ ebenfalls patentrechtlich anerkannt wurde. Der wesentlichste Vorzug bestand darin, dass das gefürchtete Eindringen von Verschmutzungen weitestgehend ausgeschlossen wurde.
Die Gangschaltung der Lutzmann-Wagen war mit nur einem Hebel zu betätigen, statt wie bisher mit einem zum Aus- und einem zum Einrücken der Gänge – ein bedeutender Fortschritt hin zu einer einfacheren Bedienbarkeit!
Besondere Verdienste erwarb sich Lutzmann bei der Verbesserung der mechanischen Eigenschaften des Automobils. Als erster verzichtete er auf Wälz- und Gleitlager und stattete die drehenden Teile wie Achsen, Wellen und Lenkgabeln seiner Motorwagen mit Kugellagern aus, die er in seiner Fabrik selbst herstellte. Die Vorgelegewelle als besonders beanspruchtes Bauteil erhielt ebenfalls patentierte spann- und nachstellbare Kugelhängelager. Lutzmann konnte dadurch den mechanischen Gesamtwirkungsgrad seiner Wagen deutlich steigern, und somit einen wesentlichen leichteren Lauf und eine höhere Geschwindigkeit erreichen. Die Gabeln der Vorderräder wurden kräftiger ausgebildet und nicht schräg, sondern senkrecht stehend ausführt. Dies führte zu einer bemerkenswert leichtgängigen Lenkung und ermöglichte einen Wendekreis von nur sechs Metern.
95_Lutz_US.jpg
Ein recht häufig zu sehendes Bild, das angeblich Heinrich – alternativ Friedrich – Opel am Steuer eines frühen Opel-Lutzmann zeigt. Richtig ist, das es ein 1895 in die USA (!) gelieferter Lutzmann-Wagen mit den Herren J.A. Koosen and H. Lawson ist.
Lutz_Pfeil_05.jpg
Wie die Übersicht zeigt, offerierte Lutzmann keineswegs nur kleine, wie damals allgemein üblich, vollkommen offene Personenwagen ohne jeden Wetterschutz, sondern auch bereits sehr fortgeschrittene und spezialisierte Fahrzeuge. Den großen Wagen links unten hätte man wenige Jahre später wohl als Pullman-Limousine bezeichnet. Daneben der erste Omnibus mit offenem Fahrerstand wie bei den zeitgenössischen Straßenbahnen und ein früher Kastenwagen.
Lutz_Pfeil_07.jpg
Im Bild die Fabrikationshalle, die sich hinter dem Wohnhaus Lutzmanns erstreckte. Lutzmann hat sich mit seinen Kindern und Gesellen davor aufgestellt. Im Hintergrund schwach zu erkennen steht der erste Omnibus, gebaut für das Industrie-Revier von Petrikau (unweit von Lodz) in Polen, das damals aber unter russischer Verwaltung stand.

Innerhalb von gut vier Jahren bis 1898 hatte Lutzmann - die Zahlenangaben schwanken leider stark - mindestens 65, bis Ende 1898 möglicherweise etwas über 100 Motorwagen gebaut, die nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch bis nach Übersee verkauft waren und durchwegs zufriedene Kunden fanden. Auch die Fachwelt sprach überaus anerkennend von den „Dessauer Pfeilen“.

Damit sind wir im Mai 1898 angelangt, in dem der hoch vornehme Deutsche Verein für Reit- und Pferdesport vom 22. bis 24. in Berlin eine Schau für Equipagen und Reitpferde abhielt. Was das mit Automobilen zu tun hatte?

Nun, so sehr sich auf der einen Seite eine ungeheure Begeisterung für die Automobile durch breite Schichten der Bevölkerung zog, so sehr stießen sie mittlerweile, und das gerade in den hohen und höchsten Kreisen, auf entschiedenste Ablehnung. Diese stinkenden, lärmenden Blechkisten, die überdies die Kleidung in unglaublichster Weise mit Öl beschmutzten und einen mit dem unsäglichsten Dreck der Chausseen bewarfen – nein, das war nichts für vornehme Leute. Auch die Generalität Seiner Majestät des Kaisers machte auf breiter Front Stellung gegen das Automobil. Sah sie doch schon voraus, dass bei dessen weiterer Ausbreitung die Pferdezucht im Reich so weit zurückgehen könnte, dass man wohlmöglich schon in wenigen Jahren nicht mehr genug Zugpferde für die Artillerie und Reitpferde für die Kavallerie vorfinden würde!

Die Automobilhersteller und ihre Interessenvertreter mussten also tunlichst darauf bedacht sein, sich nicht noch mehr Gegner zu machen. Ganz in diesem Sinne hing sich der bereits bekannte Mitteleuropäische Motorwagen-Verein an die oben genannte Veranstaltung an und beehrte sich, am letzten Tag den hohen und allerhöchsten Herrschaften einen kleinen Automobilkorso mit 13 Wagen vorzuführen. Anschließend brachen die Wagen zu einer Fernfahrt nach Leipzig auf, wobei die Motorwagen streckenweise Spitzengeschwindigkeiten von 30 Stundenkilometern erreichten.

Hier schließt sich nun der Kreis, denn am Rande dieser Veranstaltung traf Friedrich Lutzmann mit Wilhelm und Friedrich Opel zusammen, die zur Kontaktaufnahme mit Lutzmann nach Berlin gereist waren. Auf seine Einladung hin fuhren die Brüder auf der Rückreise zunächst nach Dessau, um sich die Fabrik und die Fahrzeuge von Lutzmann anzusehen.

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Kleine Typenkunde — Opel Patent-Motorwagen System Lutzmann /

Beitrag von TseHa » So 15. Mär 2009, 09:27

Dort angelangt, müssen den beiden Opel-Brüdern beträchtliche Zweifel gekommen sein, ob sie die richtige Adresse gefunden hatten. Ihnen, die unter „Fabrik“ weitläufige, hohe Hallen mit klar gegliederten Fertigungsstraßen und durchorganisierten Abläufen verstanden, dürfte die „Anhaltische Motorenwagen-Fabrik“ Lutzmanns (siehe Bild oben) eher als eine Bastlerwerkstatt vorgekommen sein, in der nach undurchschaubarem Prinzip hier der Eine gerade dies und dort der Andere das in Arbeit hatte.
Tatsächlich waren sie so verunsichert, dass sie anschließend die Behörden, u.a. die Dessauer Polizeiverwaltung, aufsuchten, um Erkundigungen über Lutzmann einzuziehen. Die Auskünfte waren die denkbar besten: Herr Friedrich Lutzmann war ein hochgeachteter Bürger der Stadt, genoss als Privatmann wie als Unternehmer einen einwandfreien Leumund. Und auch die anderen Dinge stimmten: seit Jahren verkehrten in Dessau und Umgebung Motorwagen nach eigener Konstruktion aus der Lutzmannschen Fabrik zur größten Zufriedenheit, waren in viele europäische Länder und sogar nach Übersee geliefert worden, und gerade ein Jahr zuvor hatte er mit einem seiner Patent-Motorwagen eine spektakuläre Fernfahrt von Dessau bis in den Kaukasus unternommen. Diese hatte ihm das Privileg eingebracht, den allerersten Omnibus in das Reich des russischen Zaren liefern zu dürfen.

Diese Aussagen dürften die Zweifel der Brüder ausgeräumt haben. Nach Rüsselsheim zurückgekehrt, beschloss der Familienrat, weitere Verhandlungen mit Lutzmann zum Zwecke einer Zusammenarbeit zu führen. Das Bedingungsgefüge passte: die Opels waren, zumindest der Absicht nach, Automobilhersteller, denen alle notwendigen Mittel, außer Kenntnissen im Automobilbau, in reichstem Maße zur Verfügung standen. Friedrich Lutzmann, das stand nun fest, war ein ausgewiesen qualifizierter Automobilkonstrukteur und -bauer, dem jedoch die betriebliche und finanzielle Basis fehlte, zu einer wirklich gewinnbringenden industriellen Herstellung zu gelangen.

Es wurde also weiter verhandelt, wobei sich seitens der Opel-Familie mehr und mehr der Standpunkt herausbildete, dass eine bloße Lizenzfertigung wegen der damit verbundenen Einschränkungen und Abhängigkeiten nicht erstrebenswert sei. Damit stand also das Ziel einer vollständigen Übernahme fest. „Machen wir ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann“, war wohl das Motto, als Carl, Willhelm und Friedrich Opel zum zweiten Besuch in Dessau erschienen, um Lutzmann seine gesamte Fabrik, mit allem was dazugehörte, abzukaufen und dann nach Rüsselsheim zu verlegen.
99_Fabrikschild.jpg
Gewiss war dann noch mancher Punkt zu klären, aber am 21. Januar 1899 wurde der endgültige Vertrag unterzeichnet: für fast 1.200.000 Mark kaufte Opel Lutzmann das Grundstück mit allen Gebäuden, Patente, Gebrauchsmuster und Fabrikationsrechte, Modelle, Werkzeugmaschinen, Roh- und Halbzeuge und die Kundenbeziehungen ab. Die meisten der Mitarbeiter nahmen das Angebot an, nach Rüsselsheim zu übersiedeln. Lutzmann selbst wurde im Rang eines Direktors zum Leiter der nunmehrigen „Motorwagen-Fabrik Adam Opel" ernannt, die innerhalb der Gesamtfirma Opel selbständig agierte. Sein Monatsgehalt betrug 8.000 Mark – ein wahrhaft fürstliches Salär!

Damit muss einer häufigen Darstellung zur Geschichte des Geschäfts einmal nachdrücklich widersprochen werden: Lutzmanns Firma war keine völlig unbedeutende Hinterhofklitsche, und er selbst steckte auch nicht in drückenden finanziellen Schwierigkeiten oder war gar vom Bankrott bedroht! Einem angehenden Pleitier hätten die Opels sicher weder einen derart hohen Preis noch eine solch glänzend dotierte Stellung angeboten!

In den nächsten Wochen des Jahres 1899 wurde die gesamte Automobilproduktion – so zu sagen bis zur letzten Schraube - von Dessau an den Main nach Rüsselsheim verfrachtet. Dort begann dann unter Lutzmann die Fertigung der Opel Patent-Motorwagen „System Lutzmann“. Und damit der wohl bedeutendste Abschnitt in der Firmengeschichte. Offenbar so bedeutsam, dass, zumindest dem Anschein nach, sogar Adam Opel dem Grabe entstieg, um die verehrliche Kundschaft höchstpersönlich auf das neueste Erzeugnis aus seinem Hause aufmerksam zu machen!
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„Dem Zuge der Zeit folgend habe ich die Fabrikation von Motorwagen aufgenommen.“

Die erste Fahrt eines Opel-Lutzmann-Motorwagens war ähnlich kurz und verlief ähnlich unglücklich wie 1885 Adam Opels erste Probefahrt auf dem Hochrad: Nach einer kurzen Strecke verkündete der Motor durch ein lautes Geräusch, dass er nicht mehr mochte. Die eilends durchgeführte Untersuchung sorgte aber für allgemeines Aufatmen: offenbar ein Materialfehler!
99_Lutz_01.jpg
Der Wagen aus der Anzeige in vergrößerter Darstellung. Der Vergleich mit dem ebenfalls sehr frühen Exemplar darunter (Der im Bild eingeklinkte Text ist freilich völliger Unfug!) zeigt sehr schön, dass jeder Wagen eine individuelle Handanfertigung war. Man beachte z.B. die Gestaltung der Schutzbleche, die sehr unterschiedliche Ausführung der Sitzbank oder die Ausrüstung mit Vollgummireifen oben bzw. Ballonreifen unten - von Serienbau konnte keine Rede sein!
99_Lutz_03.jpg
Gut zu erkennen: das Wappen, das die Opel-Lutzmann-Wagen als Fabrikschild trugen!
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Werbung 1899. Da der Text kaum leserlich ist, folgt hier in Kürze eine Abschrift.
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Schon im Sommer soll das erste Opel-Nutzfahrzeug zum größten Erstaunen der Rüsselsheimer durch den Ort gefahren sein. Manchmal weiß man aber bei Opel selbst nicht so ganz genau, was man weiß, denn einer Verlautbarung zu folgen gibt es außer einer Erwähnung in der zeitgenössischen Presse keine Unterlagen mehr zu dem Fahrzeug, einer anderen nach soll er das sein: der „Koloss von Rüsselsheim“ genannte Wagen!
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Die erste Internationale Motorwagen-Ausstellung, die sich nun offiziell auch so nannte, fand im September 1899 im Exerzierhaus des 2. Garderegiments zu Fuß in Berlin statt. Die Zeitgenossen verstanden die darin enthaltene Botschaft sehr wohl: Hausherr und somit Gastgeber war niemand anders als Kaiser Wilhelm II.! Veranstalter war der Mitteleuropäische Motorwagen-Verein und Wilhelm Opel hatte bereits kräftig mitorganisiert. In jenem Jahr zählte man im Deutschen Reich bereits 36 Betriebe, die Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren und zwölf weitere, die Elektromobile herstellten. Manche davon überstanden freilich kaum das erste Jahr.
Auch die Bezeichnung „international“ war wohl erstmals gerechtfertigt, denn immerhin stellten auch 20 ausländische Firmen aus, von denen allein 13 aus Frankreich kamen. Insgesamt waren 134 Aussteller vertreten. Darunter war z.B. auch ein gewisser Robert Bosch, der hinter einem winzigen Tischchen stand und etwa stehenbleibenden Besuchern eher schüchtern seinen gerade erfundenen „Zündapparat für Verbrennungsmotoren“ erläuterte. So bescheiden fing manches / mancher an... Aber, eines machte diese Schau, die bereits mehr als 100.000 Besucher zählte, fraglos deutlich: der Siegeszug des Automobils war wohl kaum noch aufzuhalten!
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Für großes Aufsehen sorgte im Oktober Heinrich Opel. Mit einem Opel Patent-Motorwagen fuhr er hinauf auf den Großen Feldberg, mit 881,5 m über NN der höchste Berg des Taunus und auch höchster Berg des gesamten Rheinischen Schiefergebirges und ein ungemein beliebtes Ausflugsziel dazu. Schon sehr früh zeigte sich damit das besondere Talent der Opel-Brüder für höchst publikumswirksame Auftritte mit den neuen Automobilen. Wochenlang war diese Fahrt vielerorts Stadtgespräch. So berichtete die Rüsselsheimer Zeitung Main-Spitze am 25. Oktober 1899 gar über „die Erstbesteigung des Feldberges mit einem Automobil“!
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Insgesamt elf Opel Patent-Motorwagen „System Lutzmann“ verließen 1899 das Werk. Die allbekannten „langen“ Viersitzer entstanden, wenn nicht alles täuscht, erst ab 1900. Man beachte das große Opel-Signet an der Fahrzeugfront!

  • ¹ Zum Vergleich des Gehalts von 8.000 Mark: Der auf den Monat umgerechnete Lohn eines Opel-Arbeiters lag damals – je nach Qualifikation, Funktion im und Zugehörigkeitsdauer zum Betrieb - bei etwa 100 bis 180 Mark. Ein Reihenhaus, wie es viele der besserverdienenden Facharbeiter und Meister von Opel um die Jahrhundertwende erbauen ließen, kostete etwa 6.000 bis 8.000 Mark.

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TseHa
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Kleine Typenkunde — Opel Patent-Motorwagen System Lutzmann /

Beitrag von TseHa » Di 17. Mär 2009, 03:26

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Der Autor vermutet wie gesagt mittlerweile, dass die „langen“, als Bauart „Duc“ bezeichneten Viersitzer erst ab 1900 gebaut wurden. Das nächsten drei Bilder zeigen das allseits bekannte Fahrzeug aus dem Opel-Museumsbestand. Zwar ist vorne das Schild „Opel 1899“ einfach nicht zu übersehen, aber es dürfte sicher dem Umstand geschuldet sein, dass dieser Lutzmann-Opel die spektakulärsten Auftritte seines Daseins beim 100-jährigen Jubiläum im Jahre 1999 hatte.
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Irritierend ist auch das in dieser Detailansicht der Bedienungselemente gut zu erkennende Firmenschild. Laut Opel wurde diese Form erst 1902 mit den Opel-Darracq-Wagen eingeführt!
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Die nachstehend aufgeführten technischen Angaben beziehen sich im Wesentlichen auf dieses Fahrzeug! Wie bereits angedeutet entstand jeder Opel Patent-Motorwagen „System Lutzmann“ einzeln und in kompletter Handfertigung. Ständig wurden kleinere Verbesserungen und Neuerungen eingeführt, so dass sich in Verbindung mit den vom Kunden wählbaren Optionen ergibt, dass de facto keine zwei „Lutzmänner“ wirklich völlig baugleich gewesen sein dürften. Abweichende und zusätzliche Angaben sind in Klammern gesetzt.
Bauzeit: 1899 – 1901
Stückzahl: 65
Motor
Motor: 1,5 Liter Otto-Motor im Heck
Zylinderzahl /Anordnung: 1 Zylinder, liegend
Zylinderkopf / Motorblock: Grauguss, offenes Kurbelgehäuse aus Bronze
Hubraum: 1545 cm³
Bohrung x Hub: 122 x 132 mm
Leistung: ca. 3,5 – 6 PS bei 650 bei U/min
(Ab 1900 2-Zylinder-Variante mit 8 PS für Viersitzer lieferbar.)
Ventilsteuerung: Einlass Schnüffelventil, Auslass nockengesteuert
Schmierung: Tropfölung
Gemischaufbereitung: Oberflächenvergaser
Kühlsystem: Thermosyphon-Kühlung
Zündsystem / Bordspannung: Summerzündung
Kraftübertragung
Schaltung: Hebel unterhalb der Lenkkurbel
Kupplung: Riemenantrieb auf Vorgelegewelle
Getriebe: 2-Gang-Planetengetriebe (alternativ auch mit 3 Gängen)
Radantrieb: Kettenantrieb auf Hinterräder
Karosserie / Fahrwerk
a) Aufbauten:
- 2-sitzige Karosserie, auch mit festem oder zusätzlichem Kindersitz
- „Duc“ für 3 - 4 Personen in Vis-a-Vis-Anordnung
- Lieferwagen
Holzaufbauten, teilweise mit Blech oder Leder verkleidet
b) Chassis
Rahmen: aus geschweiften Stahlrohren
Radaufhängung vorne / hinten: Starrachse
Federung vorne / hinten: halbelliptische Blattfedern
Räder: kugelgelagerte Holzspeichenräder, Durchmesser vorn 670 mm / hinten: 830 mm (Regelausführung)
Reifen: Vollgummi oder Ballonreifen (wählbar)
Lenkung / Bremsen
Lenkung: vertikale Lenksäule in Wagenmitte, Achsschenkellenkung über Ketten
Fußbremse: mechanische Bandbremse, nur auf Hinterräder wirkend
Handbremse: mechanische Bandbremse auf Vorgelegewelle wirkend
Maße / Gewichte / Fahrleistungen / Preise (Grundmaße)
Länge x Breite x Höhe: 2150 x 1440 x 1350 mm
Radstand: 1350 mm
Spurweite vorn / hinten: 1325 / 1325 mm
Leergewicht: ca. 520 kg
Verbrauch l/100 km: ca. 10
Höchstgeschwindigkeit: 20 - 35 km/h
Grundpreise: 2.650,– bis 3.800,– Mark
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Ein wunderschön arrangiertes Bild: Die ersten Autofahrer brauchten noch das gleiche Glück wie weiland Bertha Benz bei ihrer legendären Überlandfahrt, nämlich dass der Herr Apotheker im nächsten Ort ein paar Liter Benzin vorrätig hatte, bevor der Tank völlig leer war. In Flaschen, ausgedienten Milchkannen oder gar offen im Eimer schleppte man es sonst zum liegengebliebenen Fahrzeug. Mit steigendem Bedarf gab es das Benzin dann vom Fass mit Handhebelpumpe auch bei Drogerien, Kolonialwaren- und Kohlehändlern, Fahrradhandlungen, Schmieden und Schlossereien, aus denen sich zumeist auch die ersten Kfz-Werkstätten entwickelten, großen Hotels und Landgasthöfen. Rund 2500 solche „Tankstellen“ listete das erste Verzeichnis aus dem Jahr 1909 in Deutschland auf.
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1900 kam auch ein Lieferwagen fest ins Programm. Verglichen mit dem „Koloss von Rüsselsheim“ mit seinem zumindest andeutungsweise vorhandenen Fahrerhaus wirkt diese Ausführung altmodisch, ja rückschrittlich. Tatsächlich zeigt dieses Bild, das laut Opel aus 1900 oder 1901 stammen soll, einen bereits Jahre zuvor von Lutzmann in Dessau gebauten Wagen. Einwandfrei an den Gabeln der Vorderräder zu erkennen! Schon die letzten in Dessau und erst recht alle in Rüsselsheim entstandenen „Lutzmänner“ hatten eine „richtige“ Vorderachse.
Zu dem von Opel als „Gepäckwagen“ beworbenen Fahrzeug, dessen Seitenwände mit beliebigen Beschriftungen versehen werden konnten, heißt es im Prospekt: „Der Sitz kann innerhalb weniger Minuten abgenommen und ein geschlossener Gepäckwagenkasten aufgesetzt werden, welcher ca. 1 cbm Raum bietet und 150 Kilo trägt.“ Daraus ist zu schließen, dass das Fahrzeug fakultativ eingesetzt werden konnte, und dann müssten zum Lieferumfang auch Gestänge gehört haben, um die wichtigsten Bedienelemente bis zu dem nun hochgelegenen Kutscherbock zu verlängern!


Elf Opel Patent-Motorwagen „System Lutzmann“ waren es 1899 und im Jahre 1900 werden es 24. Eine kleine Stückzahl, zu klein. Selbstverständlich wissen die Opel-Brüder, die seit Jahren daran gewohnt sind, bei den Nähmaschinen und Fahrrädern in Größenordnungen von Zehntausendern zu denken, dass sich solche Produktionszahlen um 1900 mit Automobilen natürlich nicht erreichen lassen. Und genau so wenig haben sie sicher erwartet, auch nur annähernd mit der Firma Benz und Co., 1900 mit 603 produzierten Fahrzeugen der mit Abstand größte Automobilhersteller der Welt, gleichziehen zu können. Trotzdem: ein paar mehr hätten es sicher sein dürfen!
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Am Jahresende 1900 / Anfang 1901 müssen die Opels ein eher ernüchterndes Resümee ziehen. Viel Arbeit und viel Geld hat man seit Beginn der Fertigung investiert, um die eine oder andere konstruktive Schwäche der Lutzmann-Wagen noch auszumerzen und sie ständig weiter zu verbessern. Vieles ist erreicht worden: die Rüsselsheimer Wagen wirken sehr viel eleganter als ihre Dessauer Vorgänger, vor allem, weil man ihren Gesamtaufzug deutlich niedriger gestalten konnte. Technisch waren sie durchaus auf der Höhe der Konkurrenz. Ein Seiltanz in einer Zeit, als im Automobilbau sensationelle Erfindungen und bahnbrechende Neuerungen auf der Tagesordnung standen und nicht das Ergebnis jahrelanger Forschungen waren! Freilich, manche davon erwiesen sich binnen kürzester Zeit auch als grandioser Schlag ins Wasser – ein Seiltanz eben, der Opel aber offenbar gut gelang. Etliche überaus anerkennende Dankesschreiben mehr als zufriedener Besitzer im In- und Ausland sprachen rühmend von der Kraft des Motors und der Zuverlässigkeit und Solidität des ganzen Wagens.

Doch in der Firmenleitung gärte es mittlerweile. Die Bauzeit für jeden einzelnen Wagen betrug rundweg sechs Wochen. Alle Versuche, die reichlich vorhandenen Erfahrungen und die Methoden des Großserienbaus auf die Motorwagen zu übertragen, scheiterten letztlich an deren Grundkonstruktion. Und Herr Direktor Friedrich Lutzmann verharrte unverständlich untätig; machte keine Miene irgendetwas – geschweige denn grundlegend – zu verändern.

Anders als geplant, war die Automobilsparte nicht gewinnbringend, sondern die melkende Kuh im Unternehmen. Keine Rede ist mehr davon, mit den Automobilen Einbußen im Verkauf von Fahrrädern und Nähmaschinen auszugleichen. Statt dessen müssen die damit erzielten, schmaler gewordenen Gewinne für die Automobile herhalten. Und eine Wendung zum Besseren, ein Durchbruch gar, ist nicht in Sicht. Kein Wunder, dass die Unzufriedenheit über Friedrich Lutzmann wuchs.
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Besonders bei Heinrich Opel, der als Kaufmännischer Direktor die Verantwortung für das gesamte Unternehmen trug, dürfte langsam aber sicher schon der Name Lutzmann leichtes Magengrimmen ausgelöst haben. Er brauchte keine großartigen Berechnungen anzustellen, um zu wissen, dass der mit den wenigen gebauten Wagen erzielte Umsatz kaum das Jahresgehalt des Friedrich Lutzmann ausmachte – von Gewinn keine Rede!

Dennoch, ausgerechnet er ließ kaum etwas unversucht, um aus dem Lutzmann-Motorwagen „irgendwie“ doch noch einen Erfolg zu machen. Denn einen Gesichtsverlust mochte man sich auch nicht leisten. Da die Gebrüder Opel nur zu gut um die verkaufsfördernde Wirkung von Rennerfolgen wussten, antwortete man auf Heinrichs Anstoß hin auf die Ausschreibung zum 1. Bergrennen für Automobile, dass Ende März am Königstuhl bei Heidelberg stattfinden sollte.
Seinen größten Unterstützer findet Heinrich in seinem Bruder Friedrich, der sich besonders intensiv mit der Konstruktion von Automobilen beschäftigt. Ab Anfang 1901 bauen die beiden mit einer kleinen Mannschaft einen familieneigenen 2-Sitzer-Lutzmann um – der erste Opel-Rennwagen entsteht! „Wenn er die Belastung während des Rennens übersteht, dann natürlich erst recht den normalen Betrieb", so die Devise, die dann als werbende Botschaft ausgesandt werden soll.
Die Brüder wissen, dass die Konkurrenz mit wesentlich PS-stärkeren Wagen am Start sein wird. Deshalb setzen sie alles daran, das Gewicht ihres Autos so weit wie irgend möglich zu verringern. Aller Zierrat wird entfernt, und auch alle sonstigen Teile wie Kotflügel und Lampen, die nicht dem Vortrieb dienen, werden abgebaut. Der schwere Aufbau wird gewichtssparend umgearbeitet. Um den Luftwiderstand möglichst zu senken, stecken Fahrer Heinrich und Beifahrer Friedrich bis zu den Hüften in einem großen Ledersack, der mit der übrigen Karosserie möglichst fluchtet. Einige in aller Stille durchgeführte Testfahrten durch den nahen Taunus verlaufen versprechend: der kleine Wagen läuft wie eine Nähmaschine. Und schnell ist er auch!
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Am 31. März 1901 stehen 17 Automobile in Heidelberg zum ersten Bergrennen am Königstuhl bereit. Es ist das erste Automobilrennen in der Region überhaupt und entsprechend ist das Interesse riesengroß. Und zum ersten Mal steht der Name Opel auf einer Starterliste. Heinrich und Friedrich Opel starten. Nach einem kurzen Abschnitt durch die Gassen der Heidelberger Altstadt geht es hinein in die eng gewundenen und steilen Serpentinen und die noch steileren kurzen und geraden Abschnitte hinauf auf den Königstuhl. Eine mörderische Strecke für damalige Automobile und Heinrich Opel holt alles aus dem kleinen Wagen heraus. Nach 7,5 Kilometern Strecke ist es geschafft; der Opel-Lutzmann hat durchgehalten und das Ziel sogar in bisheriger Bestzeit erreicht. Jetzt folgt angespanntes Warten, denn noch kommen stark einzuschätzende Konkurrenten. Aber keiner kann die von den Opel-Brüdern hingelegte Zeit von 17 Minuten und 26 Sekunden (Durchschnittsgeschwindigkeit knapp 26 km/h) mehr gefährden. Ein überzeugender Sieg!
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An der Gesamtlage kann dieser Erfolg freilich kaum etwas ändern. Zwar verkaufen sich die Lutzmann-Wagen im Vergleich mit 1900 nochmals besser, aber wirkliche Gewinne sind damit nicht zu erzielen. Auch 1901 ist es letztlich nur die Nähmaschinenfertigung, die das Unternehmen hochhält. Die Sache drängt auf eine Lösung.
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Damals gelten die Erzeugnisse der französischen Automobilbauer als die besten und fortschrittlichsten der Welt. Deshalb reisten Carl, Fritz und Wilhelm Opel im Frühjahr 1901 zur Mondial de l'automobile de Paris. Auf dem Pariser Autosalon im Grande Palais erkannten sie sehr schnell und mehr als deutlich, dass die Entwicklung in Frankreich viel weiter voran war als in Deutschland. Moderne Autos, so stellen sie bewundernd fest, haben ein tiefliegendes, stabiles Chassis, das vorn den Motor trägt, der über Kardanwelle und Differential auf die Hinterachse wirkt. Die Karosserien sind auf die Rahmenkonstruktion aufgesetzt.
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Besonders angetan waren die Opel-Brüder von den Wagen des jungen französischen Herstellers Renault, der in Paris seine brandneuen Modelltypen D und E präsentierte.

Damit ist den Opel-Brüdern klar, dass die Lutzmann-Motorwagen, die wie die meisten deutschen Automobile eher umgebauten Kutschwagen ohne Deichsel ähneln, keinen Weg in die Zukunft weisen. Und so steht auch ihr Entschluss fest: Bruch mit Lutzmann - lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!

Zurück in Rüsselsheim führen die Opels die Trennung von Lutzmann herbei. Eine gütliche Regelung ist nicht mehr möglich, wahrscheinlich auch kaum mehr gewollt, und so trennt man sich 1901 im Streit. Im Vertrag war für solch einen Fall bereits Sorge getragen worden: Friedrich Lutzmann darf drei Jahre lang nach einer Trennung von Opel in Deutschland „kein Geschäft ähnlicher oder gleicher Branchen“ aufziehen. Er kehrte in heimatliche Gefilde zurück, wo er 1902 in Gera eine Mineralwasserfabrik kaufte.

Eigentlich hatte Friedrich Lutzmann bereits durch den Verkauf seiner Firma finanziell ausgesorgt. Aber die Mineralwasserfabrik blieb eine Episode, da ihn diese Branche wohl nicht wirklich interessierte. Danach beteiligte er sich, meist mit geringem Erfolg, mal an dieser, mal an jener Unternehmung. Auch seine Versuche, wieder in der Automobilkonstruktion Fuß zu fassen, verliefen eher kläglich. Sein Vermögen schmolz dahin und am 23. April 1930 starb Friedrich Lutzmann verarmt und fast völlig vergessen in Dessau.
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In Rüsselsheim wurden 1901 noch 30 Opel Patent-Motorwagen „System Lutzmann“ gebaut. Dann war nach etwas über zwei Jahren und insgesamt 65 Wagen dieses erste Kapitel des Automobilbaus abgeschlossen. Die Idee, nun ein eigenes Modell komplett neu zu entwickeln, wurde von den Opel-Brüdern schnell wieder verworfen: zu kostspielig, es würde zu lange dauern, bis es konkurrenzfähig wäre und im – immerhin möglichen – Falle eines Fehlschlags könnte dies die gesamte Firma in Gefahr bringen.
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Statt dessen entschieden sich die Opel-Brüder zunächst für eine „kleine Lösung“, die längst schon naheliegend gewesen wäre: noch im Jahre 1901 begann Opel mit der Herstellung von motorisierten Fahrrädern und kleinen Motorrädern.

Der Gedanke an die eigene Automobilproduktion war aber keineswegs aufgegeben. Im Sommer 1901 wurde ein Vertag mit Louis Renault geschlossen. Auch für Renault war dies der erste internationale Kooperationsvertrag.
Ganz sicher wurden auch einige (wenige) Wagen nach Rüsselsheim geliefert. Verlässliche Informationen dazu liegen aber nicht vor. Jedenfalls steht fest, dass die Franzosen nicht mit offenen Karten gespielt hatten. Noch auf dem Pariser Autosalon und wenig später hatte Renault so viele Bestellungen für die neuen Modelle erhalten, dass im Grunde genommen sogar die komplette Jahresproduktion 1902 bereits verkauft war! Kurzum: Renault konnte die Opel gegebenen Lieferzusagen nicht einhalten, obwohl noch in 1901 begonnen wurde, in Belgien eine weitere Fabrik zu errichten. Opel ließ den Vertrag alsbald annullieren.

Erst im Jahre 1902 ging es dann weiter – nun in Zusammenarbeit mit Alexandre Darracq.

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