Was Adam Opel selbst zu dem Vorschlag gesagt hätte, Automobile zu bauen? Ob es seinen Söhnen gelungen wäre, den Vater davon zu überzeugen, wie zuvor in 1886 von der Aufnahme der Fahrradfertigung? Wir können es nicht wissen. Technischen Neuerungen stand Adam Opel durchaus aufgeschlossen gegenüber, sofern er, der nüchtern rechnende Kaufmann, darin einen Sinn entdecken konnte. So führte er bereits um 1890 elektrische Beleuchtung ¹ in der gesamten Fabrik ein.
Auch das erste Jahrzehnt der Automobilgeschichte in Deutschland hat er sicher mit wachem Interesse verfolgt. Doch wie viele seiner Zeitgenossen war er zunächst einmal skeptisch. „Stinkende Blechkutschen“ soll er gesagt und gemeint haben, diese klapprigen und störanfälligen Vehikel hätten keine große Zukunft, seien bloß ein Spielzeug für Millionäre. Bestimmt hatte er der Presse auch die Berichte über den unglückseligen Münchener entnommen, der sich als erster Privatmann in Deutschland ein Automobil bestellt hatte. Noch bevor es geliefert wurde, landete der Ärmste wegen geistiger Umnachtung in der Irrenanstalt. Nicht nur Carl Benz erblickte darin ein ganz böses Omen – Viele prophezeiten, allen anderen Automobilisten werde es genau so ergehen!
Gleichwohl scheint er aber dann doch Gefallen am Automobil gefunden zu haben. Oder erlag er doch wieder dem Drängen seiner technik- und sportbegeisterten Buben? Wie auch immer, unter dem Datum 14. März 1895 hält das „Controllbuch“ der Firma Benz & Cie. fest, dass der im Februar bestellte Phaeton an Adam Oppel, Rüßelsheim, Nr. 120 ausgeliefert worden ist. ² Es war ihm aber nicht beschieden, sich allzu lange an seinem Benz-Wagen erfreuen. Auf einer Geschäftsreise im Sommer 1895 infizierte sich Adam Opel mit Typhus. Als die Erkrankung ausbrach und behandelt wurde, war es zu spät: am 8. September 1895 verstarb er. Der erfolgreiche Firmengründer hinterließ seiner Frau Sophie und den fünf Söhnen ein gesundes und wohlgeordnetes Unternehmen. Nähmaschinen hatten die Firma groß gemacht; Fahrräder und Kellereimaschinen (Kapsel- / Korkmaschinen) für die Weinbaubetriebe an Rhein und Main und die zahlreichen Obstkeltereien in Hessen ergänzten das Programm wegen der jahreszeitlich stark unterschiedlichen Nachfrage hervorragend.
Sophie Opel übernahm die Leitung der Firma, wobei sie ihr Schwager Georg weiterhin so tatkräftig unterstützte wie zuvor seinen Bruder. Die Söhne, beim Tod des Vaters zwischen 26 und 15 Jahre alt, wuchsen in die Firma hinein und übernahmen verantwortliche Stellen. Carl und Heinrich wählten das kaufmännische Fach, Wilhelm und Friedrich studierten Maschinenbau an der schon damals hochrenommierten TH Darmstadt.
1896 gaben die Opels die Fabrikation der Kellereimaschinen auf, um diese Kapazitäten für die anderen Fertigungen frei zu machen. Die Familie unterstützte zwei verdiente Werksangehörige dabei, sich mit den Kellereimaschinen selbständig zu machen. Das daraus hervorgegangene Maschinenbauunternehmen besteht heute noch.
Im Spätsommer 1897 machte ein besonderes Ereignis Schlagzeilen. Die Zeitungen kündigten die bevorstehende Gründung des ersten Automobil-Vereins im Deutschen Reich für den 30. September 1897 in Berlin an! Gleich daran anschließend sollte auch die erste „Automobilrevue“ auf deutschem Boden abgehalten werden. Jetzt waren die Opel-Buben, die ohnehin längst auch für Automobile schwärmten, kaum mehr zu bremsen – bei diesem sensationellen Ereignis wollten, nein, mussten sie dabei sein!
So reisten also Carl, Wilhelm, Heinrich und Friedrich in die Reichshauptstadt. Nur den erst siebzehnjährigen Ludwig ließ die gestrenge Frau Mama nicht weg.
In Berlin kreuzten sich dann zum ersten Male die Wege der Opel-Söhne mit denen des Friedrich Lutzmann, denn an jenem 30. September 1897 war Lutzmann eines der 51 Gründungsmitglieder des ersten deutschen Automobil-Clubs, die sich im noblen Hotel Bristol, an Berlins feinster Adresse Unter den Linden gelegen, versammelten. Unter ihnen waren mit Carl Benz, Gottlieb Daimler ³ und Rudolf Diesel die wichtigsten Köpfe des deutschen Automobilbaus, der Vater der Luftschiffe, Graf Zeppelin, Oskar von Miller, Wegbereiter der Wasserkrafttechnik und späterer Begründer des Deutschen Museums in München, der sagenhaft reiche Sektfabrikant Heinrich Soehnlein und Emil Rathenau, Gründer der AEG - um nur einige der klangvollen Namen aus Technik und Industrie zu nennen. Entschlossen, „das Motorwagenwesen zum Segen der Gewerbetätigkeit und zur Annehmlichkeit des unabhängigen Verkehrs des Einzelnen zu fördern“, gaben sie dem Verein den überaus stolzen Namen Mitteleuropäischer Motorwagen-Verein.
Nach der Gründungssitzung fand eine öffentliche „Vorführung von Motorwagen“ statt, wie im Vereinsbericht vermerkt ist: „Der Besichtigung der Wagen ob ihrer tauglichen Bauausführung und verkehrlichen Sicherheit durch die Herren des Vorstands schloss sich eine Motorfahrt in den Grunewald an.“ Die Stimmung war euphorisch. Der zum Präsidenten des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins gewählte preußische Oberbaurat a.D. Klose erläuterte den zahlreichen Pressevertretern: „Als Motorfahrzeuge, welche ihre Energie zur Fortbewegung mit sich führen, machen sich zur Zeit drei Gattungen bemerkenswert, nämlich: durch Dampf bewegte Fahrzeuge, durch Ölmotoren bewegte Fahrzeuge und durch Elektrizität bewegte Fahrzeuge. Die erste Gattung dürfte voraussichtlich in Zukunft hauptsächlich für Wagen auf Schienen und schwere Straßen-Fahrzeuge in Betracht kommen, während das große Gebiet des weiten Landes von Ölmotorfahrzeugen durcheilt werden und die glatte Asphaltfläche der großen Städte wie auch die Straßenschiene von mit Sammlerelektrizität getriebenen Wagen belebt sein wird."
So sahen sie aus, deutsche Automobile im Jahre 1897: Benz „Victoria“ Daimler „Riemenwagen“ Kühlstein „Jagdwagen“ Lutzmann „Pfeil“
Gerade einmal vier deutsche Fahrzeughersteller waren also am Start vertreten: Carl Benz aus Mannheim mit drei Wagen, Friedrich Lutzmann aus Dessau mit zwei Wagen, Gottlieb Daimler aus Bad Cannstatt mit einem Wagen. Dies waren allesamt Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Dazu kam noch Eduard Kühlstein aus Berlin-Charlottenburg mit einem Elektrofahrzeug. Ein wenig hatte es schon die Form eines Wettbewerbs: es war ein Lutzmann-Wagen, der als erster wieder aus dem Grunewald herauskam und dafür einen Lorbeerkranz erhielt.
Nach diesem öffentlichen Teil waren die Vornehmen, Wichtigen und Betuchten in den prachtvollen Ballsaal des Hotels Bristol zur ersten Automobilausstellung in Deutschland geladen. Man war übereingekommen, dass dort jeder Hersteller zwei Fahrzeuge ausstellen durfte. Ein Ereignis für die feine Gesellschaft, aber, immerhin, aus diesem Anfang sollte sich die IAMA und spätere IAA entwickeln.
___
Es lässt sich leicht denken, dass die Opel-Brüder überwältigt von den Eindrücken dieser Veranstaltung und voller Begeisterung den Heimweg nach Rüsselsheim antraten. Was vorher vielleicht nur ein enthusiastischer Gedanke gewesen war, nämlich vielleicht dereinst selbst Automobile zu bauen, reifte nach Berlin zur festen Absicht. Doch so ganz einfach war das nicht!
Unerwartete Schützenhilfe erhielt der Plan durch die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1898. Am Ende des 19. Jahrhunderts ebbte in Europa der Boom in der Fahrradproduktion ab – Hunderte von Unternehmen hatten begonnen, Fahrräder herzustellen, und damit waren bedeutende Überkapazitäten entstanden. Zwar hielten die vorzüglichen Opel-Räder ihre glänzende Position auf dem Markt und die Marke feierte weiterhin beständig sportliche Triumphe – so wurde z.B. 1897 sowohl die Europa- als auch die Weltmeisterschaft auf Opel-Rennrädern gewonnen – doch trotzdem zwang die ständig wachsende Konkurrenz Opel zu Preissenkungen und schon 1898 musste man einen merklichen Rückgang der Produktion hinnehmen. Zwischen 1898 und 1902 pendelte der stagnierende Absatz der Fahrräder zwischen etwa 11.500 und 15.000 Stück.
Zwar kletterte die Herstellung von Nähmaschinen in gleichen Zeitraum von ca. 22.000 auf ca. 34.000 Stück, und somit konnten die Umsatzrückgänge bei den Fahrrädern weitestgehend ausgeglichen werden, aber auch in dieser Branche zeichneten sich bereits die selben Entwicklungen ab. Die Zahlen der Kaufleute sprachen eine eindeutige Sprache. 1903 kam es dann hier zu einer ernsten Absatzkrise.
Es erschien also auch aus unternehmerischer Sicht dringend geboten, die Produktpalette der Opel-Werke beizeiten um eine zukunftsträchtige Branche zu erweitern, wollte man diesen Entwicklungen gewappnet gegenüber treten. Und was konnte dies anderes sein als der noch in den Kinderschuhen steckende Automobilbau! Vor diesem Hintergrund erteilte dann auch „Mutter Opel“, wie die ebenso resolute wie warmherzige Sophie Opel von den Werksangehörigen genannt wurde, ihr Einverständnis.
Ein Problem, und zwar das wichtigste, war damit aber noch nicht gelöst: Wie baut man denn überhaupt Automobile?
Die Opel-Brüder waren mehr als nur wohlhabende Unternehmer, als Kaufleute besaßen sie weltweit beste Geschäftsbeziehungen und als Techniker beste Kenntnisse in modernen, auf große Stückzahlen ausgelegte Produktionsverfahren. Es standen weitläufige, modern ausgerüstete Fabrikanlagen zur Verfügung und die Firma konnte sich auf Hunderte, hochmotivierte und zum größten Teil im eigenen Hause vorzüglich ausgebildete Mitarbeiter stützen ... Ausgezeichnete Voraussetzungen also, nur, dass eben niemand Kenntnisse im Automobilbau hatte!
Es war also völlig klar, dass das kühne Vorhaben ohne Hilfe und Unterstützung von außen nicht zu realisieren war. Die Opel-Brüder machten sich folglich auf die Suche nach einem geeigneten Partnerunternehmen.
Zuerst wandten sie sich an Carl Benz und Gottlieb Daimler, die Urväter des Automobils. Doch sowohl Benz wie Daimler ließen sie ziemlich harsch abblitzen, dachten nicht einmal im Traum daran, einem etwaigen Konkurrenten auch noch Starthilfe zu leisten.
Kühlstein, der Berliner, hatte sich erst 1898 endgültig selbständig gemacht und sein erstes Fahrzeug mit Verbrennungsmotor angefertigt. Der schied also ebenso aus wie fünf oder sechs andere Neugründungen in diesem Jahr.
Und somit blieb als letzte Möglichkeit innerhalb des Deutschen Reiches die „Anhaltische Motorenwagen-Fabrik" von Friedrich Lutzmann übrig - seit 1894 Produzent von Automobilen eigener Konstruktion zu Dessau und damit ebenfalls einer der Pioniere dieser noch so jungen Industrie. Doch gleichwohl hatten sich die Fahrzeuge aus der Dessauer Fabrik in den knapp vier Jahren bereits einen sehr guten Ruf erworben: sie galten als leistungsfähig, schnell und robust. Stolz konnte Lutzmann auf Lieferungen nach England, Frankreich, Holland, Polen und etliche andere europäische Länder verweisen - sogar im fernen Arabien fuhren schon welche!
Warum also nicht mit Lutzmann reden? Wilhelm und Friedrich, als die beiden Ingenieure, wurden ausersehen, den Kontakt mit Friedrich Lutzmann aufzunehmen, um sich die Fahrzeuge genau anzusehen und vorsichtig abzuklären, ob unter Umständen mit ihm ins Geschäft zu kommen sei. Lutzmann antwortete freundlich und verbindlich. Natürlich waren ihm die Opel-Werke als führender Fahrradhersteller ein Begriff, denn schließlich handelte er seinerseits auch mit Fahrrädern, wenngleich mit der englischen Marke Rover. Aber, unter Umständen war ja mit den Opels ins Geschäft zu kommen.
Lutzmann sprach also eine Einladung an die beiden Brüder aus, nach Dessau zu kommen und seinen Betrieb und seine Erzeugnisse kennen zu lernen. Und die nahmen die Einladung dankend an, wie man sich nur zu gut vorstellen kann!
Im Folgenden soll nun zunächst Friedrich Lutzmanns Lebensweg bis hierhin nachgezeichnet werden.
¹ Eine Sensation zur damaligen Zeit, da noch viele glaubten, es wäre mit des Teufels Hilfe gelungen, Stückchen vom lieben Sonnenlicht in diese Glaskugeln zu sperren. Und wenn der Teufel dann die Glaskugel platzen ließ, ja, dann brannte das Haus ab!
² Rüßelsheim mit ß war damals so korrekt. Opel mit zwei P ist ein offenkundiger Schreibfehler; ein anderes Dokument gibt den Namen richtig wieder.
³ Dies war übrigens die einzige Gelegenheit, bei der sich Carl Benz und Gottlieb Daimler einmal persönlich begegneten. Wie alle Zeitzeugen berichteten, würdigten sich der Badener und der Schwabe gegenseitig keines einzigen Blickes!